Alle sprechen darüber. In der Klassikwelt gibt es in diesen Tagen kaum ein anderes Thema als das neue Wahrzeichen Hamburgs: Am vergangenen Mittwoch wurde die neue Elbphilharmonie feierlich eröffnet und damit eine neue Ära eingeläutet.
Die Vorgeschichte
Für viele Diskussionen sorgte die Philharmonie bereits lange vor ihrer Eröffnung. 2001 fanden die ersten Überlegungen über eine neue Konzerthalle auf dem Kaispeicher statt und damit auch der erste Streit über die Finanzierungsfrage. Die Baukosten sollten zum Teil aus öffentlichen Geldern (77 Millionen Euro) und zum anderen Teil von Privatinvestoren getragen werden. 2007 wurde die Grundsteinlegung gefeiert, kurz danach aber schon Verspätungen und Kostenerhöhungen angekündigt. Schließlich verspätete sich die Eröffnung um sieben Jahre und die Gesamtkosten stiegen von 80 auf 800 Millionen Euro. Die wichtigsten Etappen mit Zeitangaben gibt es auf NDR nachzulesen. In ihrem Artikel „Der dunkle Weg zum hellen Glanz“ schrieb die taz: „Die Vorgeschichte [der Elbphilharmonie] ist ein Paradebeispiel dafür, wie man’s nicht macht.“ Kritisiert wurde die anfängliche Leichtgläubigkeit der Politik und der Bürger, die die unrealistischen Vorhaben ignorierten, um stattdessen die Vision der Weltklassearchitekten Herzog & de Meuron zu zelebrieren.
Erfüllt die Philharmonie die hohen Erwartungen?
Mit umso größerer Spannung (und Druck!) wurde die Elbphilharmonie am Mittwoch, dem 11. Januar 2017 eröffnet. Dabei lautete die wichtigste Frage: Wird der Saal die versprochene, weltbeste Akustik liefern können?
Am Tag nach der Eröffnung äußerte sich zunächst Manuel Brug (Artikel in der Welt), leider enttäuscht. Der Klang scheint vorerst nicht zu halten, was die Architektur verspricht: „Der Orchestersatz wird komplexer, und auf einmal höre ich nur noch Bässe. Oder Hörner. Und unangenehm aus der Mitte trötende Klarinetten. Der Klang spreizt sich auf, verflacht dann, vieles dringt nicht mehr durch. Es atmet zu wenig, denke ich.“ Liegt es vielleicht daran, dass der Redakteur nicht am richtigen Ort saß? Vielleicht. Jedoch warb man genau damit, dass unabhängig davon, wo der Zuhörer sitzt, jederzeit der beste Klang garantiert sei.
Mit ihrem Artikel „Dieser Konzertsaal kennt keine Gnade“ stößt Eleonore Büning von der FAZ ins selbe Horn. Die Elbphilharmonie sei eine Augenweide, leider höre man nicht mit den Augen: „Dieser Saal, so wunderschön er auch auf den ersten Sinn wirkt (…)– den zweiten Sinn enttäuscht er. Dieser Saal klingt gnadenlos überakustisch.“ Jeder Fehler, jeder tiefe Atemzug, jeder schiefe Bogenstrich und auch die Publikumsgeräusche würden sich in die Musik mischen.
Obwohl Rabea Weihser in ihrem Artikel für die Zeit die gnadenlose Akustik des Saals ebenfalls bestätigt („Exzellenz im Spiel wird belohnt, Mittelmäßigkeit und Schwächen treten umso deutlicher hervor“), wird das finale Ergebnis gelobt: „ein glasklarer Klang von erstaunlicher dynamischer Bandbreite, überdeutlich in den Akzenten, voll und weich im Tutti“.
Ebenfalls begeistert schrieb Frederik Hanssen vom Tagesspiegel: Trotz eines schlechten Platzes (in höchster Höhe hinter dem Orchester), ist der Klang fantastisch. Dank des einzigartigen Schallbrechers, der „wie ein Ufo durchs Deckengewölbe dringt“ werden die Töne des Orchesters beispielhaft reflektiert: „Selbst das feinste Pianissimo hat hier noch eine enorme Präsenz. Klarheit und Wärme verbinden sich auf ideale Weise, das Blech entfaltet festlichen Glanz, die Streicher sind brillant, ohne allzu poliert zu wirken, und selbst bei voller Orchesterpower entsteht nie der Eindruck des Wuchtigen.“
Reinhard Brembeck von der Süddeutsche Zeitung sieht die Schwäche nicht in der Akustik des Saales: „Bei Mendelssohn und Brahms wird nach und nach deutlich, dass dieses Defizit nicht der Saalakustik anzulasten ist, sondern Hengelbrock und seinen Musikern.“
Doch letztlich ist die Frage der Akustik eine Frage des persönlichen Gefühls jedes Einzelnen. Der Akustiker der Elbphilharmonie, Yasuhisa Toyota sagt: „Mit der Akustik ist es ähnlich wie mit Whiskey: Selbst Experten können nicht erklären, warum der eine gut schmeckt und der andere nicht.“
Parallel dazu fragte sich die Presse (wie z.B. die Welt in ihrem Artikel „Die Elbphilharmonie beendet eine andere große Ära“), was aus der Laeiszhalle wird, die bis jetzt die begehrteste Stelle für Klassikliebhaber in Hamburg war. Optimal ist der Saal zwar nicht mehr, jedoch wird die künstlerische Leitung versuchen, durch ein neues Programm mit u.a. mehr Weltmusik und Jazz die Zuhörer weiterhin zu locken.
Und was sagt Europa dazu? Einblicke in die ausländische Presse
Auch im Ausland sorgt die Elbphilharmonie für Bewunderung und Kritik. Doch interessiert sich die Presse weniger für die Akustik-Frage, als vielmehr für das Gesamtprojekt und die Bedeutung des Saales für die Stadt.
Das gewagte Programm, mit einem Potpourris aus Werken der Romantik, des Barocks und der Neuen Musik, wirkt laut France musique kohärent und sehr gut umgesetzt. Gelobt wird die Innen- und Außenarchitektur des Gebäudes, die Meisterleistungen in Sachen Tontechnik hervorgebracht hat.
The Guardian wundert sich, dass ein so teures und kontrovers diskutiertes Projekt von der Politik und Gesellschaft schlussendlich so gut empfangen wird. Die Anwesenheit von Angela Merkel bis zum Ende der Veranstaltung sieht die Zeitung als Zeichen dafür, wie wichtig die Kultur und die Investition in Kunst für Deutschland ist.
Für The New York Times hat das Gebäude das Potential, einen „Bilbao-Effekt“ auszulösen. Die Zeitung spielt dabei auf die baskische Stadt Bilbao an, die heute dank des einzigartigen Designs des Guggenheim-Museums Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Laut des Redakteurs wird die größte Herausforderung für das Gebäude sein, für alle einen Platz zu schaffen. Neben dem Anspruch, Musik zugänglicher zu machen, sollten Bildungsprojekte Vorrang haben, die weiteren gesellschaftlichen Zielen dienen, so z.B. der Integration von Flüchtlingen durch Konzerte, die Einwohner und Zugezogene zusammenbringen können.
El Pais macht einen kurzen Vergleich zwischen der Baustelle des Berliner Flughafens BER und der Elbphilharmonie. Beide seien Beweise dafür, dass die deutsche Effizienz nicht immer das ist, was es in der Theorie vorgibt zu sein. Trotz der Länge des Abends, der insgesamt über viereinhalb Stunden dauerte, wird die Akustik des Raumes und das gewagte Programm der musikalischen Leitung gelobt.
Kreativität in den Sozialen Medien
Viel Aufmerksamkeit erreichte die Elbphilharmonie auch in den Sozialen Medien, wobei es eher selten ist, dass Projekte aus der klassischen Musikwelt so viele Leute engagieren und gleichermaßen viel Kreativität in den Sozialen Medien hervorrufen.
Lohnenswert ist das Twitter-Konto der Elbphilharmonie @elbphilharmonie, das unzählige Einblicke in die Gebäude-Geheimnisse, in das Orchester und in die Vorbereitungen der Eröffnung gibt. Viele lustige Videos feiern die baldige Premiere, wie beispielsweise das Countdown Video Sounddown in yellow. Insgesamt ein gelungenes Story Telling, das sich zum Nachlesen empfiehlt.
Kreativ werden auch die Redaktionen vieler Rundfunkanstalten. Der SWR 2 glaubt, überall die Form der Elbphilharmonie zu sehen, sogar in Schokoladentafeln. BR Klassik hingegen transportiert die Elbphilharmonie mit einem lustigen, mithilfe von Photoshop bearbeiteten Video nach Bayern. In einem Video von NDR freuen sich die Musiker des NDR Elbphilharmonie Orchesters über den schönsten Weg zur Arbeit. Über Deutschland hinaus werden Meldungen mit einem Augenzwinkern aus dem Ausland gesendet, so z.B. aus Island. Außerhalb der Musikwelt erfährt das Projekt aber auch viel Kritik, insbesondere wegen der vermeintlich unfairen Verteilung von Staatsgeldern.
Einen sehr guten Überblick über die Debatte in den Sozialen Medien rund um die Elbphilharmonie liefert ein kürzlich erschienener Artikel von Crescendo.